Zurück in die Normalität
Text: Sören Hammermüller und Anja Sonntag
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Die Überleitung eines intensivpflichtigen Menschen aus der klinischen in die außerklinische Versorgung ist ein komplexer Prozess, der eine professionelle Vorgehensweise aller beteiligten Berufsgruppen erfordert. Oberstes Ziel ist es, dem Wunsch der Klienten nach einem möglichst selbstbestimmten Leben zu entsprechen.
Angesichts einer alternden und kränker werdenden Gesellschaft sowie zunehmend besseren intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind immer mehr Personen auf die Hilfe von intensivmedizinischem und intensivpflegerischem Fachpersonal angewiesen (1, 2).
Dies gilt besonders für den Bereich der Beatmung und für Klienten mit künstlichen Atemwegszugängen. Für diese Menschen stellen Betreuungsmöglichkeiten im Rahmen der außerklinischen Intensivpflege eine gute Alternative zur Intensivstation dar. Die ambulante Intensiv- und Beatmungspflege ist die logische Folge der Bemühungen und Wünsche der Betroffenen nach einem selbstbestimmten Leben mit der Erkrankung außerhalb klinischer Strukturen.
Während man 2005 von rund 5 000 Menschen in Deutschland ausging, die von auf Beatmungspflege spezialisierte ambulante Pflegedienste versorgt wurden, sind es heute mehr als dreimal so viele beatmungspflichtige Klienten, die außerklinisch versorgt werden (3, 4). Die Leistungserbringung kann in der eigenen Häuslichkeit, in Wohngemeinschaften (WG) oder in speziell für intensivpflichtige Klienten konzipierten stationären Einrichtungen erbracht werden (5). Es handelt sich hierbei zum großen Teil um Hochrisikopatienten, die Gefahr laufen, aufgrund von Schnittstellenproblemen während der Überleitung unzureichend versorgt zu werden. Ein professionell geplantes Überleitungs- und Aufnahmemanagement ist daher unerlässlich (6). Die Maxime der Überleitung sollte sein, Klientenwünsche zu erfüllen, auch wenn diese nicht immer mit dem gesetzlichen Anspruch übereinstimmen (6).
Die initiale Übernahme eines intensivpflichtigen Klienten aus einem Krankenhaus in die außerklinische Weiterversorgung ist als sensibler Prozess zu betrachten, der auf die Bedarfe des jeweiligen Klienten anzupassen ist.
Für das Gelingen sind folgende Einzelschritte von Bedeutung:
Der Erstkontakt: In der Regel nimmt die behandelnde Klinik oder Rehabilitationseinrichtung Kontakt mit Pflegedienstleitern potenzieller außerklinischer Intensivpflegedienste auf. Nach einer kurzen Beschreibung des Klienten hinsichtlich seines pflegerischen Bedarfs sowie den Vorstellungen und Wünschen des Klienten kann zeitnah geprüft werden, ob die Belegungs- und Personalkapazitäten in der gewünschten Versorgungsform – üblicherweise Einzelversorgungen, Wohngruppen oder stationäre Intensivpflegeeinrichtungen – angeboten werden kann.
Wenn dies der Fall ist, ist ein zeitnaher Termin zum Erstgespräch sinnvoll.
Das erste persönliche Gespräch: Im Vorfeld des Erstgesprächs wird kommuniziert, dass die Anwesenheit des behandelnden Arztes, einer Verantwortlichen Pflegefachkraft der Station und des Sozialdienstes dringend erforderlich ist. Auch die Präsenz eines Mitarbeiters des Therapeutenteams ist meistens sinnvoll.
In diesem ersten Gespräch sollten neben grundlegenden Informationen zum Klienten auch Diagnosen, Prognosen und Behandlungsziele besprochen werden.
Folgegespräche: Nachdem alle klinischen Fragen geklärt und Abläufe im Erstgespräch besprochen wurden, ist der nächste Schritt das Kennenlernen des Patienten und seiner Angehörigen oder seines Betreuers.
Prinzipiell ist es nicht ausgeschlossen, dass der Angehörige/Betreuer am Erstgespräch teilnimmt. Häufig ist es aber ratsam, beide Gespräche zu trennen, da der ärztlich geforderte Bedarf nicht immer mit den individuellen Bedürfnissen der Klienten oder der Angehörigen zu vereinen ist. Das Folgegespräch kann je nach Wunsch des Klienten und des Angehörigen am Patientenbett, in Räumlichkeiten der Klinik, in den Räumlichkeiten der Niederlassung oder auch im privaten Bereich stattfinden. In diesem Gespräch spielt die Aufnahme von Wünschen, Emotionen, Fähigkeiten, Ressourcen, Zielen und Ängsten eine große Rolle.
Die Beratung und Aufklärung zu den unterschiedlichen Versorgungsmöglichkeiten ist unerlässlich. Es ist darauf zu achten, dass der Patient und seine Angehörigen nicht mit Information überhäuft werden. Denn auch hier droht sonst Informationsverlust.
Zudem ist es wichtig, dass Klienten und die Angehörigen während des gesamten Überleitungsprozesses denselben Ansprechpartner haben. Diese Person übernimmt auch die Aufgabe des Teachings der in der zukünftigen Versorgung des Klienten arbeitenden Mitarbeiter. Diese sollen bereits vor Übernahme des Klienten optimal informiert sein.
Wenn ein Klient vom Krankenhaus in die außerklinische Versorgung überführt wird, übernimmt in den meisten Fällen ein Mitarbeiter des Sozialdienstes der stationären Einrichtung das Schnittstellen-Management.
Der Sozialdienst übernimmt hier primär administrative Verwaltungsaufgaben, wie die Sicherung von Finanzmitteln, die Beschaffung von Heimplätzen, die Beratung zu möglichen ambulanten Pflegediensten und die Regelung von Maßnahmen der Rehabilitation oder Anschlussheilbehandlung.
Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zum Case Management dar. Ein gut implementiertes Case Management erkennt frühzeitig Hochrisiko-Klienten und beginnt seine Arbeit hinsichtlich der erfolgreichen Überleitung optimalerweise bereits zum Beginn der innerklinischen Behandlung. Der Mitarbeiter des Sozialdienstes hingegen wird durch den behandelnden Arzt oder die versorgende Station hinzugezogen, um sich am Überleitprozess zu beteiligen.
Bei der Koordination der Überleitung ist der Zeitdruck häufig ein Problem. Gerade bei gewünschter Einzelversorgung eines intensivpflichtigen Klienten in der eigenen Häuslichkeit gibt es viele Aufgaben, die vom Intensivpflegeanbieter organisiert und geplant werden müssen. Dazu zählt die optimale Zusammenstellung des Pflegeteams und die sorgfältige Vorbereitung auf den Klienten, was unter anderem eine Geräteeinweisung durch den Provider oder eine Fallbesprechung erfordern kann.
Aber auch die Klärung der notwendigen ärztlichen Weiterversorgung des intensivpflichtigen Klienten und die Bereitstellung von Versorgungshilfsmittel wie Pflegebett, Absauggeräte und Personenlifter kann mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Resümee: Die Überleitung dauerhaft intensivpflichtiger Menschen aus der klinischen in die außerklinische Versorgung ist ein komplexer Prozess, der eine professionelle Vorgehensweise aller beteiligten Berufsgruppen erfordert. Aufgrund der hohen Komplexität ist immer eine hohe Flexibilität erforderlich. Insbesondere der Wille des Klienten muss zwingend berücksichtigt werden, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten, denn das wesentliche Ziel der außerklinischen Intensivpflege muss neben der fachlich adäquaten Betreuung die Rückkehr der Klienten in ein möglichst normales Leben sein, in dem die Gesundheitseinschränkungen des Klienten in den Hintergrund rücken sollen.
(1) Statistisches Bundesamt: Bevölkerungsvorausberechnung. www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/Bevoelkerungsvorausberechnung.html, Zugriff 20.1.2017
(2) Statistisches Bundesamt: Pflegebedürftige heute und in Zukunft. www.destatis.de/DE/Publikationen/STATmagazin/Soziales/2008_11/2008_11Pflegebeduerftige.html, Zugriff 20.1.2017
(3) Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung: Stellungnahme der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB e.V.) zu den Ausführungen von Dr. Matthias Thöns aus Witten auf dem Bremer Palliativkongresses am 20. März 2015. www.digab.de/startseite/neuigkeiten/detailansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=38&cHash=039186c1ab8257b93cca90fd9064d74b, Zugriff 20.1.2017
(4) Lloyd-Owen S.J. et al.: Patterns of home mechanical ventilation use in Europe: results from the Eurovent survey. Eur Respir J. 2005 Jun; 25 (6): 1025–31
(5) Isfort, M. et al.: Pflege-Thermometer 2016. Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip), Köln 2016
(6) Hammermüller, S.: Die Rolle des Assessments in der außerklinischen Intensivpflege. In: Gepflegt durchatmen; 2017, 35 (1): 45–48
(7) Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP): Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege. 06/2009; Osnabrück
Sören Hammermüller, cand. M.A., ist Fachbereichsleiter für außerklinische Intensivpflege bei der advita Pflegedienst GmbH. Er hat den Studiengang „Advanced Nursing Practitioner for Intensive Care“ erfolgreich abgeschlossen und studiert gegenwärtig Gesundheits- und Sozialmanagement. Er ist zudem zertifizierter Casemanager (DGCC).
Mail: s.hammermueller@advita.de
Anja Sonntag ist stellvertretende Pflegedienstleitung und regional verantwortliche Intensivpflegefachkraft bei der advita Pflegedienst GmbH.
Mail: a.Sonntag@advita.de