Hat die Pflege eine Pflegekammer verdient?
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Angesichts der kritischen Diskussion, ob Kammern der richtige Weg sind, stellte der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, Dr. Markus Mai, auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress in Berlin die provokante Frage, ob der Berufsstand der Pflegenden überhaupt reif sei für eine Verkammerung, ob er tatsächlich eine Kammer verdient habe. Die Meinungen dazu, auch seine eigene, waren eindeutig.
WWenn man eine Berufsgruppe immer kleinhält, wie soll sie dann der Welt ihre Reife zeigen? Pflegekammern
sind lange überfällig. Jetzt haben wir die Chance, zu zeigen, welche Kompetenz und welche Möglichkeiten wir haben, positiv auf unser Gesundheitssystem Einfluss zu nehmen und auch deutlich zu machen, was das für eine Ressource ist, die wir in unserem Land über Jahrzehnte
verschwendet haben, indem wir eben die Pflege nicht mit an den Tisch geholt haben.
Mit der Pflegekammer gibt es eine Weichenstellung, die dafür sorgt, dass alle Entscheidungen, die wir für unsere Berufsausübung treffen, auch von unserer Berufsgruppe getragen werden. Es ist also nicht mehr so, dass über unsere Belange von Menschen entschieden wird, die berufsfremd sind, dass unsere Angelegenheiten in Verordnungen geregelt werden von Personen, die eine Verwaltungsfachausbildung haben, aber ansonsten völlig fachfremd sind. Deshalb bin ich überzeugt, auch wenn es noch ein bisschen dauern wird, dass die Sicht auf die Pflege und die Teilhabe und die Gestaltung, die
Selbstbestimmung in unserem eigenen Berufsstand eine ganz andere Dimension erreichen wird.
Verdi hatte sich anfangs kritisch zur Pflegekammer geäußert, mittlerweile besteht ein enger Dialog mit der Gewerkschaft. Wir brauchen eine starke Gewerkschaft, ohne sie können wir die Ziele der Pflege nicht erreichen. Aber Verdi hat – zumindest in Rheinland-Pfalz – verstanden, dass sie nicht alles leisten kann für den Berufsstand der Pflegenden. Die Gewerkschaft vertritt auch im Prinzip nicht die berufsständigen Interessen der Pflege. Dafür hat sie nicht das Know-how. Sie hat aber das Know-how, uns Gehälter zu erstreiten und uns bei den Arbeitsbedingungen
zu unterstützen.
Es geht im Übrigen ja nicht darum, dass die Pflegekammer Pflegekammer ist, sondern dass wir etwas für den Berufsstand erreichen. Und letztendlich geht es auch gar nicht um Pflege, das muss man auch ganz ehrlich sagen. Es geht um eine gute Versorgung durch und mit uns. Das ist der Zweck. Und wenn es der Berufsgruppe noch nebenbei gutgeht, dann haben wir unser Ziel gemeinsam erreicht. Wir sind nur gemeinsam stark.
Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass unser Berufsstand es nicht verdient hat, seit über 20 Jahren nicht an der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen teilnehmen zu können. In Nordrhein-Westfalen haben sich die Pflegenden für eine Pflegekammer ausgesprochen. Im Sommer soll es einen Gesetzesentwurf und den weiteren Fahrplan geben. Der Gesetzentwurf muss dann erst noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen. Das ist ein demokratischer Prozess, denn die Kammer ist ja auch eine demokratisch legitimierte Institution bestehenden Rechts. Wenn das Gesetz Anfang 2020 durch ist, kann der Gründungsausschuss seine Arbeit aufnehmen und 2021 könnte die Kammer an den Start gehen. Die Pflege hat definitiv eine Pflegekammer verdient, auch wenn noch nicht alle verstanden haben, dass wir sie dringend brauchen.
Die Frage ist auch eine Frage der Zeit. Und wir haben keine Zeit mehr. Die Berufsgruppe ist ungeduldig. Die Pflegenden haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder von verschiedenen Seiten (Parteien, Gewerkschaften, Verbänden) Versprechungen gehört, die
nicht eingelöst wurden. Im Gegenteil: Die Pflegenden haben das Gefühl, es geht ihnen immer schlechter. Hinzu kommt: Die Berufsgruppe ist unglaublich inhomogen. Viele Kolleginnen können oder wollen sich nicht kritisch mit dem Thema Pflegekammer auseinandersetzen. In Niedersachsen gibt es immer wieder Protestwellen. Ich gehe davon aus, dass wir noch eine ganze Zeit lang mit Widerständen aus unterschiedlichen Richtungen zu kämpfen haben werden. Pflegekammern aber sind echtes Pfund. Denn allein mit dem, was wir in unsere Berufsordnung schreiben, können wir Politik machen.