„Ein Umdenken ist erforderlich“
Interview: Stephan Lücke
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Zwei tote Patienten, 16 Verletzte, 148 evakuierte Patienten auf sechs Stationen, ein ausgebrannter Dachstuhl – das ist die Bilanz eines verheerenden Feuers, das in der Nacht zum 30. September 2016 im Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum ausbrach. Mit dem Dortmunder Brandschutzexperten Bert Wieneke haben wir darüber gesprochen, welche Lehren aus dem Unglück zu ziehen sind.

Herr Wieneke, laut den Verantwortlichen im Universitätsklinikum Bergmannsheil habe das professionelle und berufsgruppenübergreifende Agieren der Mitarbeiter dazu beigetragen, den Schaden zu begrenzen; das ausgereifte Brandschutzkonzept sei in Gänze erfüllt worden. Wie sehen Sie das – ist alles optimal gelaufen?
Ursache für den Brand in Bochum war Brandstiftung einer Patientin, die sich selbst töten wollte. Dagegen sind Brandschutzmaßnahmen machtlos. Dass der Patient im Nachbarzimmer gestorben ist, kann hingegen kaum noch als optimal bezeichnet werden.
Auffällig beim Brand im Bergmannsheil war die rasante Brandausbreitung über mehrere Geschosse im Dach. Genau das soll in Krankenhäusern eigentlich unbedingt verhindert werden, damit keine vertikale Evakuierung der Patienten erforderlich wird. Wo also lag das Problem?
Das Dachgeschoss des Krankenhauses bestand offensichtlich aus Holz. In der nicht mehr gültigen Krankenhausbauverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1978, das seit 2009 nicht mehr gilt, war Folgendes geregelt: „Das Tragwerk von Dächern muss feuerbeständig, bei eingeschossigen Gebäuden mindestens feuerhemmend sein. Die Dachschalung muss aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen. Das gilt nicht, wenn die Räume durch feuerbeständige Decken abgeschlossen sind.“ Aufgrund der Brandausbreitung über mehrere Dachgeschossebenen hinweg wurde das Schutzziel dieser Regelung offensichtlich nicht erreicht.
Welche Lehren sind aus dem Unglück zu ziehen?
Der Brand im Bergmannsheil zeigt die Bedeutung der Pflegekräfte für den Personenschutz in Kliniken und Heimen. Nur die Pflegenden sind so früh am Brandentstehungsort, dass sie einen Patienten aus der unmittelbaren Gefahr retten können. Obwohl die Feuerwehr in Bochum sofort alarmiert wurde und sehr schnell vor Ort war, konnte sie den unmittelbar vom Brand betroffenen Patienten nicht helfen. Dies entspricht jedoch dem aktuell üblichen Sicherheitskonzept für Kliniken und Pflegeeinrichtungen: Die Pflegenden sind für die Rettung der Patienten verantwortlich. Es ist fraglich, ob diese Strategie angesichts des Fachkräftemangels und der reduzierten Personalstärken langfristig tragbar ist. Aus meiner Sicht ist ein Umdenken erforderlich.
Sollten die Gesetze geändert werden?
Baurecht ist Ländersache. In jedem Bundesland gibt es daher eigene Vorschriften zum Brandschutz, die sich teilweise deutlich voneinander unterscheiden. Für brandschutztechnische Anforderungen an Krankenhäuser gibt es – mit Ausnahme von Brandenburg – keine verbindlichen Bauvorschriften. In einigen Bundesländern existieren zumindest Empfehlungen des zuständigen Ministeriums. Die Muster-Krankenhausverordnung aus dem Jahr 1976 ist nicht mehr zeitgemäß und wird nicht mehr angewendet. Brandschutz in Krankenhäusern wird daher im jeweiligen Einzelfall entwickelt, orientiert an den allgemeinen Schutzzielen.
Ist das ausreichend?
Grundsätzlich ist die Einzelfallbetrachtung beim Brandschutz in Krankenhäusern möglich, wenn der Brandschutz von qualifizierten Experten geplant wird. Eine Einzelfallbetrachtung ist nötig, weil die meisten Krankenhäuser eine vielfach umgebaute, teilweise historische Bausubstanz aufweisen. Hier ist es unumgänglich, individuelle Lösungen für die konkrete Situation zu entwickeln. Zur Planungssicherheit und Umsetzung einheitlicher Standards wäre jedoch eine bundesweit einheitliche Regelung der Regel- oder Mindestanforderungen an Krankenhäusern wünschenswert.
Nach dem Unglück in Bochum hat die Deutsche Stiftung Patientenschutz Sprinkleranlagen in allen Krankenhäusern gefordert. Finden Sie dies sinnvoll?
Im Gesundheitswesen wird sehr viel Geld für Brandschutz ausgegeben. Hier zusätzliche Auflagen aufzusatteln, ist nicht zielführend. Das Ziel sollte vielmehr sein, bei gleichem finanziellen Aufwand die Sicherheit zu erhöhen. Hierzu sind Sprinkleranlagen eine sehr gute Möglichkeit. Da Sprinkleranlagen zum Personenschutz einen Brand unmittelbar löschen oder zumindest auf den Entstehungsraum begrenzen, können ohne Sicherheitsverlust an anderer Stelle Erleichterungen zugelassen werden. Hierbei handelt es sich jedoch um ein alternatives Sicherheitskonzept gegenüber dem heute üblichen System aus automatischer Brandmeldung und aktiv eingreifenden Pflegekräften. Brandmeldeanlagen entdecken einen Brand und holen Hilfe in Form von Menschen, die tätig werden müssen. Automatische Löschanlagen erkennen einen Brand, alarmieren und bekämpfen selbstständig den Brand. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Sollten automatische Brandmeldeanlagen gesetzliche Pflicht werden?
Deutsche Krankenhäuser sollen über flächendeckende automatische Brandmeldeanlagen verfügen. Dies entspricht aber nicht der Realität. In vielen Einrichtungen sind bis heute keine Brandmeldeanlagen nachgerüstet worden.
Auf den Punkt gebracht: Was muss sich bei dem Thema Brandschutz ändern?
Der Einsatz von automatischen Löschsystemen unterstützt die Pflegekräfte aktiv bei der frühzeitigen Brandbekämpfung und reduziert im Brandfall die Gefahr von Toten und Verletzten erheblich. Damit sich automatische Löschanlagen als alternatives Sicherheitskonzept etablieren, müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die beim Einsatz von Sprinkleranlagen Erleichterungen an anderer Stelle zulassen. Insgesamt würde hierdurch ein höheres Sicherheitsniveau erreicht.
Herr Wieneke, vielen Dank für dieses Gespräch.
Bert Wieneke, 46, ist staatlich anerkannter Sachverständiger für die Prüfung des Brandschutzes und Inhaber eines Sachverständigenbüros für Brandschutz in Dortmund und Erwitte.
Kontakt auf www.wieneke-brandschutz.de

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