Vorbild USA
Interview: Stephan Lücke
University of Pennsylvania in Philadelphia/USA
In den Vereinigten Staaten gehört die Pflege zu den beliebtesten Berufswünschen junger Menschen. Das hat gute Gründe, so die renommierte Pflegewissenschaftlerin Linda Aiken im Interview.
Frau Professorin Aiken, in Deutschland werden in der Pflege fast überall Personalmangel und schlechte Arbeitsbedingungen beklagt. Wie bewerten Sie die Situation für Pflegende in den USA?
Hervorragend. Hier hat sich in den letzten Jahren enorm viel verbessert. US-amerikanische Pflegende werden verhältnismäßig gut bezahlt, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten erweitern sich, die Advanced-Nursing-Practice-Bewegung wächst. Auch bekleiden Pflegende viele Führungspositionen – in Krankenhäusern, in Gesundheitsorganisationen, in Behörden. Pflege gehört heute zu den beliebtesten Berufswünschen junger Menschen. Ich denke, dass die aktuellen Probleme der Pflege in Deutschland, vor allem der Abbau von Pflegepersonal bei gleichzeitigem Anstieg des Arbeitsaufkommens, viel mit der Einführung des DRG-Systems vor rund 15 Jahren zu tun haben. Das war in den USA Anfang der 1980er- Jahre ähnlich. Auch bei uns war damals ein massiver Fachkräftemangel zu beobachten. In der Folge wurde das bekannte Magnetkrankenhaus-Konzept entwickelt. Damit können sich Kliniken als fortschrittliches Haus ausweisen, das viel für seine Pflegenden tut, exzellente Outcomes hat und sich durch Patientenorientierung auszeichnet.
Was ist entscheidend, um gute Patientenoutcomes zu erreichen?
Es ist simpel: Je mehr Pflegende eingesetzt werden, desto besser ist das Patientenoutcome. Dies gilt für alle Bereiche der Pflege, besonders aber für die Pflege im Krankenhaus. Krankenhäuser sind also gut beraten, möglichst viele Pflegende einzustellen und Anreize zu schaffen, sie langfristig im Unternehmen zu halten. Dies ist allein aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Denn die negativen Auswirkungen schlechter Personalschlüssel, wie Krankenhausinfektionen, sind viel teurer.
Welche Rolle spielt die Qualität der Pflegeausbildung?
Diese ist in Bezug auf Patientenoutcomes ebenfalls sehr wichtig. Unsere 2014 in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte Studie zeigt, dass jeder Zehn-Prozent-Anstieg von Pflegenden mit Bachelor-Grad zu einer Sieben-Prozent-Reduktion der Patientenmortalität führt. Ich weiß, dass es in Deutschland leider nur wenige akademisch qualifizierte Pflegende gibt. Dennoch halte ich es durchaus für einen Fortschritt und wichtiges Signal, dass der deutsche Wissenschaftsrat eine Akademisierung von etwa zehn bis 20 Prozent eines Jahrgangs in den Pflege- und Therapieberufen empfiehlt. Wichtig ist, dass an diesem Ziel festgehalten wird.
Wie weit fortgeschritten ist die Akademisierung in Ihrem Land?
Die Pflege in den USA hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht, vor allem in Sachen Ausbildung. Unser Akademisierungsgrad liegt aktuell im Durchschnitt bei 60 Prozent, wobei 30 Prozent der Krankenhäuser bereits 70 Prozent oder mehr Pflegende mit Studienabschluss beschäftigen. Angestrebt ist ein Akademisierungsgrad von 80 Prozent, den wir relativ bald erreichen werden.
Linda Aiken ist Direktorin des Center for Health Outcomes and Policy Research sowie Professorin für Pflegewissenschaft und Soziologie an der
University of Pennsylvania in Philadelphia/USA