„Die Pflege darf sich nicht weiter aufspalten“
Interview: Dr. Christina Lauer
Im April 2019 hat die Mitgliederversammlung der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) ihr Präsidium und ihren Vorstand gewählt. Damit hat sie als Alternative zur Kammer in Bayern offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Wir fragten den Präsidenten der VdPB, Georg Sigl-Lehner, wie es zur Gründung der VDPB kam, warum er den bayerischen Weg für den besseren hält und wie er mit Kritik umgeht.
Herr Sigl-Lehner, in einer repräsentativen Befragung im Jahr 2013 unter beruflich Pflegenden sprachen sich 50 Prozent der Befragten für und 34 Prozent gegen eine Kammer aus, 16 Prozent enthielten sich. Wieso kam es zur Gründung der Vereinigung der Pflegenden Bayerns (VdPB) statt einer Kammer?
Das ist eine sehr verkürzte Darstellung des Ergebnisses, denn es wurde auch nach Mitgliedsbeiträgen gefragt. Und gegen die sprachen sich die Befragten mehrheitlich aus. Diesem Sachverhalt wurde mit der Gründung der VdPB Rechnung getragen. Denn die Mitglieder zahlen keinen Mitgliedsbeitrag. Die Finanzierung der Vereinigung erfolgt allein aus dem Staatshaushalt. Außerdem darf man nicht vergessen: Das Pflegevereinigungsgesetz basiert auf einer Kammergesetzgebung. Wir unterscheiden uns mit unseren Ausführungen also nicht von der Kammergesetzgebung. Das heißt, wir haben die gleichen Rechte wie die Kammern, aber ohne Pflichtbeiträge und Pflichtmitgliedschaft.
Wer kann bei der VdPB Mitglied werden?
Im Gegensatz zur Kammer können bei der Vereinigung nicht nur Pflegefachkräfte mit 3-jähriger Ausbildung, sondern auch einjährig qualifizierte, staatlich anerkannte Pflegefachhelferinnen und -helfer und Absolventinnen und Absolventen pflegewissenschaftlicher Studiengänge ordentliche Mitglieder werden – egal ob aus der Altenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder der Gesundheits- und Krankenpflege.
Kritisiert wird oft, dass auch Arbeitgeberverbände Mitglied werden können. Ist das richtig?
Das kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Es war niemals das Ziel, und es steht auch nicht im Gesetz, dass Arbeitgeberverbände bei uns ordentliches Mitglied werden können. Sie sind sogar explizit ausgeschlossen. Das ist schlicht und ergreifend im Gesetz so nicht vorgesehen. Es können jedoch Gewerkschaften, Berufsfachverbände und Schwesternschaften mit Sitz in Bayern bei uns Mitglied werden. Das geht.
Im Gegensatz zur Kammer wird die VdPB staatlich finanziert. Damit wird ihr oft fehlende Unabhängigkeit attestiert. Wie sehen Sie das?
Wir betrachten uns sehr wohl als unabhängig und vertreten das nach außen sehr deutlich. Natürlich muss die Vereinigung mit Mitteln ausgestattet werden. In Bayern hat man sich für die staatliche Finanzierung ausgesprochen. Aber allein auf Grundlage des Gesetzes und der Auflagenzuordnung dokumentiert sich unsere Unabhängigkeit. Wir haben nicht das Gefühl, dass man uns an der Leine herumführt. Das würden wir auch nicht zulassen. Dazu sind die Vertreter der Vereinigung viel zu unabhängig in ihren Persönlichkeiten.
Sie haben also schon den Eindruck, dass man Ihnen auf Augenhöhe begegnet, also so, wie man auch den Kammern begegnen würde?
Den Eindruck haben wir absolut. Wir sind ja auch mit einigen Kammern im direkten Austausch. Außerdem haben wir Sitze in Landesgremien, wo wir regelmäßig zusammenkommen und uns regelmäßig austauschen. Ich habe bisher von keiner Seite erlebt, dass man uns nicht die Aufmerksamkeit gibt, die andere auf Kammerebene auch hätten.
Im Gründungsausschuss wurden bereits im Oktober 2017 das vorläufige Präsidium und der vorläufige Vorstand gewählt. Welche Aufgaben hatte das vorläufige Gremium?
Unser Auftrag war, „das Haus zu bauen“. Wenn jemand irgendwo einziehen möchte, braucht er erst einmal ein Haus, einen Rahmen. Das war ganz klar der gesetzliche Auftrag: Schaffung einer arbeitsfähigen Geschäftsstelle mit Personal. Dann mussten wir eine Hauptsatzung, eine Wahlordnung und eine Entschädigungsordnung auf den Weg bringen. Das Ganze vor dem Hintergrund, dass wir eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind und den Haushaltsvorgaben des Landes Bayern entsprechend zu agieren haben.
Anfang April 2019 wurden dann in der ersten Mitgliederversammlung das Präsidium und der Vorstand der VdPB gewählt. Damit sind Sie nun offiziell handlungsfähig. Was kommt nun?
Es geht jetzt sehr schnell darum, dass wir die Aufgaben angehen, die uns der Gesetzgeber in das Gesetz hineingeschrieben hat. Ganz dringend und wichtig sind die Weiterbildungsordnung und die Berufsordnung. Außerdem müssen wir das Thema Rechtsberatung weiter auf den Weg bringen. Was wir auch tun werden – und das sehe ich auch als eine der Kernaufgaben –, ist, die Interessen der beruflich Pflegenden wirklich zu vertreten. Dabei geht es auch um Rahmenbedingungen, die bekanntermaßen nicht die besten sind.
Was meinen Sie konkret mit „Rahmenbedingungen“?
Es geht um Personalausstattung, um Personalbemessung. Wir wollen sehr schnell ein Monitoring des Fachkräftebedarfs in Bayern auf den Weg bringen. Das heißt, keine einmalige Studie, sondern eine Studie, wie sich die Personalausstattung im Laufe der Zeit entwickeln wird.
Wenn Sie 5 Jahre in die Zukunft schauen. Was ist Ihre Vision?
Wenn wir von einem Zeitraum von 5 Jahren sprechen, dann müssen bis dahin bessere Arbeitsbedingungen geschaffen sein. Die Profession muss sich tatsächlich durch die Vereinigung vertreten fühlen. Das heißt, innerhalb der Gesundheitsberufe muss die Anerkennung als eigenständiger Heilberuf da sein. Das ist unser Ziel, das wir nach 5 Jahren erreicht haben wollen. Und natürlich wünschen wir uns, dass sich möglichst alle Pflegekräfte der Vereinigung anschließen. Die Frage ist: Schaffen wir es, eine nicht sehr stark berufspolitisch agierende Berufsgruppe zu aktivieren?
Sie denken, dass Ihnen das durch eine Vereinigung eher gelingt als durch eine Kammer?
Wenn es uns gelingt, den beruflich Pflegenden in Bayern klarzumachen, dass wir letztendlich mit den gleichen Rechten ausgestattet sind wie eine Kammer, die Pflichtbeiträge und Pflichtmitgliedschaft fordert, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass sich viele für den bayrischen Weg entscheiden. Ich bin schon deutlich über 30 Jahre im Pflegeberuf tätig. Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass sich beruflich Pflegende, egal in welchem Bundesland, berufspolitisch engagieren und für ihre berechtigten Anliegen laut werden. Aber ich halte den bayrischen Weg für den besseren: ohne Verpflichtung. Es gibt einige wesentliche Merkmale, die gegen die Verpflichtung sprechen, wie es bei anderen Kammerberufen ist.
Welche Merkmale sind das Ihrer Ansicht nach?
Die Selbstständigkeit. Die meisten Pflegekräfte arbeiten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Das ist anders als bei der Architektenkammer, wo das Merkmal die Selbstständigkeit ist. Hier hat man sich in einer Kammer zusammengeschlossen, um stärker nach außen aufzutreten. Dieses Merkmal haben wir in der Pflege nicht. Das ist etwas ganz Wesentliches. Das passt nicht zusammen. Nach meiner langjährigen Erfahrung bin ich überzeugt: Bei beruflich Pflegenden ist der Wunsch nach Selbstverwaltung groß, aber auf freiwilliger Basis.
Nun wird ja von vielen Seiten gegen die VdPB gewettert. Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, dass die Diskussionen um den richtigen Weg in den sozialen Medien sehr ungute Züge annehmen. Das hilft der Berufsgruppe nicht. Es schadet ihr. Deshalb halten wir uns auch mit Äußerungen gegenüber den etablierten Kammern sehr zurück und kritisieren sie ganz bewusst nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin der Meinung, dass das den beruflich Pflegenden nicht hilft. Die Pflege darf sich nicht weiter aufspalten. Es bedarf der Akzeptanz, dass es auch einen anderen Weg gibt. Aber mit den gleichen Zielen.
Auf Ihrer Agenda steht auch die Registrierung der Pflegenden – unabhängig von einer Mitgliedschaft.
Ja. Die Registrierung der beruflich Pflegenden ist im Interesse aller Beteiligten. Wir wissen bis heute nicht, wie viele anerkannte Pflegefachkräfte in Bayern leben. Nur mit diesen Informationen wissen wir, wo die Planung hingehen muss, gerade vor dem Hintergrund der generalistischen Ausbildung, die jetzt kommt – und die wir im Übrigen sehr begrüßen. Man muss wissen, wo die potenziellen Pflegekräfte leben, wie wir sie einsetzen können und welche Bedarfe sich daraus ergeben. Dazu brauchen wir eine Basis und damit die Registrierung. Da sind wir uns mit allen anderen einig, die mit diesem Thema beschäftigt sind.
Wie würde denn eine Registrierung aussehen?
Eine Pflichtregistrierung können wir im Augenblick noch nicht aktiv angehen. Denn da geht es auch um das Thema „Datenschutz“. Dazu brauchen wir vom Gesetzgeber eine Grundlage, die erst noch geschaffen werden muss. Wie das konkret ausehen wird, kann ihnen derzeit noch niemand beantworten. Da muss noch einiges an Vorarbeit geleistet werden. Voraussetzung für eine Registrierung ist aber nicht, dass man Mitglied bei uns ist. Die Mitgliedschaft ist also nicht gleichzusetzen mit der Registrierung. Auch wenn es natürlich schön wäre, wenn alle Vertreter des Berufs bei uns freiwilliges Mitglied werden.
Nun hat sich vor einigen Tagen die Pflegekammerkonferenz zusammengeschlossen, bestehend aus den drei bestehenden Pflegekammern und dem Deutschen Pflegerat. Die VdPB ist nicht dabei. Was sagen Sie dazu?
Ich finde das sehr schade. Indem sie uns als gesetzlich legitimiertes Selbstverwaltungsorgan in Bayern außen vor lassen, schwächen die Kammervertreter die Selbstverwaltung der Pflege auf Bundesebene und leisten einer Spaltung so weiter Vorschub. Inhaltlich haben wir mit unseren Forderungen eine große Übereinstimmung und auch eine fast identische Aufgabenzuordnung. Vor dem Hintergrund der enormen Probleme in der Pflege hoffe ich, dass wir trotzdem bald gemeinsam an einem Tisch sitzen und an einem Strang für die beruflich Pflegenden ziehen. Unsere Bereitschaft hierfür besteht – wir wollen keine Gräben innerhalb unseres Berufsstandes.
Georg Sigl-Lehner ist Krankenpfleger und hat mehrere Jahre im klinischen Bereich gearbeitet. Danach hat er Ausbildung als Lehrer für Pflegeberufe absolviert und war einige Jahre als solcher in der Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig. Seit Anfang 2000 leitet er stationäre Einrichtungen der Altenhilfe und hat in der Langzeitpflege seinen Platz gefunden. Er versteht sich als Teamworker, der sich jeden Tag an der Pflege beteiligt und in engem Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht.